Die Kunst der Langsamkeit

Schneller, höher, weiter. Nach dieser Maxime ist unser Leben, unsere Berufswelt ausgerichtet. In normalen Zeiten. Doch nun zerteilt sich die Arbeitswelt:

In die Systemrelevanten, die sich vor Arbeit und Arbeitsdruck nicht retten können. In die nicht ganz so Systemrelevanten, die ihre Aufgaben immer noch von Zuhause aus erledigen können, deshalb aber manchmal ganz und gar nicht weniger tun. Denken wir nur an die Familien, deren Mütter und Väter nun auch täglich Lehrer, Köche und Spieleanimateur für Ihre Kleinen sein dürfen. Und dann gibt es noch diejenigen, die durch die derzeitige Zeit in ihrem beruflichen Tun völlig ausgebremst sind. Zu diesen, derzeit in Ruhestand versetzten Selbständigen gehöre ich. Ich fahre gern mit Menschengruppen in Gärten anderer Menschen. Ich ermögliche anderen Menschen schöne Café-Nachmittage in meinem großen Garten, den ich für Sie regelmäßig öffne. Beides fällt nun aus.

Darüber könnte ich klagen. Und zugegeben, ohne Verdienst und Aussicht auf Verdienst fühlt sich der Blick in die Zukunft und auf das, was ich normalerweise dafür tue, nicht nur leicht und locker an. Doch ich möchte nicht jammern, denn Menschen anderswo trifft es viel härter.
Zum Glück – und zur Ablenkung – habe ich meinen Garten und in dem gibt es im Frühling immer besonders viel zu tun. Beete müssen von Unkraut gesäubert, vieles zurückgeschnitten, zahlreiche Pflanzen in meinen vielen Töpfen geteilt und neu getopft werden, die Pflanzprojekte vom Herbst vollendet werden. In früheren Jahren stand mir für all diese Arbeiten nur eine bestimmte Zeitmenge zur Verfügung, denn die beruflichen Dinge wollten ja auch erledigt werden. In diesem Jahr nun kann ich mich ganz und gar auf meinen Garten einlassen. Versäte Fingerhüte werden verpflanzt, alle Clematis gedüngt und aufgebunden, Ableger von Stauden gleich getopft. Meine Topfvielfalt auf dem Hof kann ich mit viel Zeit für Details arrangieren, ausgesäte Wicken rechtzeitig topfen. All dies sind Arbeiten, die ich in früheren Jahren nur unter Zeitdruck erledigt habe. Oder die ganz flachfielen.

Beim täglichen Gießen all meiner Lieblinge, für das ich mir nun Zeit lassen kann, denke ich an eine Bekannte, die seit Jahren um ein Sabbatical rang. Sage mir: Ich habe es jetzt ungewollt erhalten, vielleicht auch geschenkt bekommen. Kann mich in die Kunst der Langsamkeit einüben. Und sie zelebrieren lernen!